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Es kommt oft anders als man denkt

Es kommt oft anders als man denkt
Es begab sich zu einer Zeit als ich noch Betriebswirtschaft in Köln studierte. Ich hatte gewechselt von Essen nach Köln und so musste ich mir eine neue Arbeitsgruppe suchen.

In dem Viertel in Köln, in dem ich wohnte war auch Klaus zu Hause. Klaus war ein offener Typ und nahm mich mit in seine Arbeitsgruppe. So lernte ich Frauke kennen. Sie war schmal, hatte eine feine Ausstrahlung, aber ihre Augen die schauten immer traurig. Ich spürte auf ihr lag ein Druck, eine schwere Bürde. Frauke war immer freundlich, doch nichts Persönliches kam über ihre Lippen.

Es vergingen Monate, doch ihre Distanz blieb und ich fragte auch nicht. Dann kam der besondere Freitag. Im Rahmen unserer Projekt Arbeit hatte Frauke Unterlagen in ihrer Wohnung vergessen. Da ich ein Auto hatte bot ich ihr an schnell mit ihr nach Hause zu fahren, um die Sachen zu holen.

Sie wohnte mit ihrem Freund zusammen, doch dieser war nicht zu Hause. Als wir die Wohnung betraten legt sich etwas wie Blei auf Frauke. Ihre Augen wurden noch trauriger. Es war kaum zum Aushalten. Sie stand am Schrank. Ich nahm mir ein Herz und fasste ihre Hand. Sofort drehte sie sich um. Die Tränen schossen aus ihren Augen und sie stammelte: „Ich kann keine Kinder bekommen. Beide Eierstöcke arbeiten nicht. Ich bin keine richtige Frau sagen die Ärzte. Es ist nichts zu machen. Ich war schon überall. Auch bluten tu ich nicht. Ich bin so verzweifelt.“ Sie weinte so viel Tränen.

Die ganze Zeit über hielt ich ihre Hand. Als die Tränen aufhörten drückte ich sie und setzte mich mit ihr hin. Ich schaute tief in ihre braunen Augen und sagte: „Frauke, es kommt oft anders als man denkt. Wenn die Umstände sich ändern und Harmonie eintritt, dann passieren Dinge, die man sich nicht vorstellen kann.“ „Du glaubst wohl an Wunder. Ich nicht. Es ist unmöglich. Nie wird sich mein Wunsch nach Kindern erfüllen.“ „Frauke, die Trauer in deinen Augen, sie liegt nicht nur daran. Du machst dir etwas vor. Du weißt genau, dass dein Partner nach anderen Frauen schaut und auch fremdgeht. Er bleibt nur bei Dir, weil deine Familie so viel Geld hat und du, du hast Angst keinen anderen mehr mitzubekommen, dabei hast du so viel zu bieten. Du bist eine so sympathische Frau. Auf den bist du nicht angewiesen.“

Ich war sprachlos über mich selber, das ich es wagte so direkt mit ihr zu sprechen. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn sie mich rausgeworfen hätte. Sie sagte kein Wort. Ich sagte auch nichts mehr. Wir nahmen die Unterlagen und verließen die Wohnung.

Damals wusste ich noch nicht, wie wichtig es für eine Transformation es ist, dass man schonungslos direkt auf den Kernpunkt des Problems kommt. Es war einfach so aus mir heraus gekommen. Unser Verhältnis blieb weiter distanziert, als wenn es dieses Gespräch nie gegeben hätte. Wir schlossen unsere Projektarbeit ab und es kamen Semesterferien.

Zum nächsten Semesterbeginn hatte Frauke sich von ihrem Freund getrennt. Sie wirkte leichter. Wir sagten beide nichts. Zum Semesterbeginn kamen auch neue Studenten, Wechsler so wie ich. Unter ihnen war ein hochgewachsener Mann, ein richtig attraktiver Bayer. Klaus lernte ihn zuerst kennen und brachte ihn mit in unsere Gruppe. Armin war ein selbstbewusster Bayer. Er trug auch manchmal Lederhosen. Er und Frauke wurden ein Paar. Er schaffte es, dass die Trauer in Fraukes Augen nachließ.

Eines Morgens, so ½ Jahr später ging ich die lange Treppe zu den Vorlesungsräumen hoch. Es war ein Dienstag den ich nie vergessen werde. Oben stand Frauke. Ihre Augen leuchteten. Sie rief schon von weitem: „Petra, Petra, es kommt oft anders als man denkt. Es ist ein Wunder geschehen! Ich bin schwanger. Ich hatte Bauchschmerzen und bin zum Frauenarzt gegangen. Er hat festgestellt, dass ich schwanger bin. Er sagte selber, es ist ein Wunder. Er weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich bin so glücklich!“ Voller Freude drückte sie mich, keine Distanz mehr, nur noch Herzlichkeit. Ich freute mich sehr mit ihr und sagte: “Was die Liebe so alles schafft! Wunderbar!“

Es gab eine bayrische Hochzeit und später brachte Frauke einen gesunden Jungen zur Welt. Die Ärzte sagten wiederholt, dass sie nicht wussten, wie das passieren konnte. Es war ein Zufall für sie, für uns war es einfach ein Wunder.

Wir studierten weiter, waren in unserer letzten Projektarbeit vor dem Diplom als es Frauke plötzlich übel wurde. Sie musste brechen. Es waren richtige Brechanfälle. Wir brachten sie nach Hause. Der Arzt kam. Da das Brechen nicht aufhörte wies der Arzt Frauke ins Krankenhaus ein. Wir waren besorgt, aber wir konnten nichts machen. Am nächsten Tag stand Armin morgens schon früh auf dem Parkplatz, seinen Jungen auf dem Arm. Tränen quollen aus seinen Augen als er zu uns sagte: „Frauke, Frauke bekommt Zwillinge!“

Frauke musste die ganze Schwangerschaft über im Krankenhaus liegen. Sie konnte ihre Diplomarbeit erst später schreiben. Wir besuchten sie oft und haben in den Vorlesungen für sie mitgeschrieben. Die Zwillinge sind volle neun Monate im Bauch geblieben und dann im Rahmen einer natürlichen Geburt auf die Welt gekommen. Zweieiige Zwillinge, ein Mädchen und ein Junge und sie sind gesund.

Da hat eine Frau, die keine Kinder bekommen kann doch in ihrem Körper drei Kinder wachsen lassen. Es kommt eben doch oft anders, als man denkt und oft ist es so positiv, wie man es sich gar nicht vorstellen kann. Diese wunderbare Geschichte fällt mir immer wieder ein, wenn Patienten die Hoffnung verloren haben. Dann erzähle ich sie. Die Patienten schöpfen Kraft und oft kommt es dann anders als man denkt!